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Paartherapie

Systemische Paartherapie: Leitfaden, Wirksamkeit und Kassenleistung

Umfassender wissenschaftlicher Leitfaden zur systemischen Paartherapie. Erfahren Sie, wie dieser Ansatz Beziehungsmuster verändert, warum er seit 2020 Kassenleistung ist und wie er Ihnen helfen kann.

Dr. Anna Schmidt
17 Min. Lesezeit
Systemische TherapiePaartherapieBeziehungskonflikteKassenleistungNeurobiologische Entwicklungsstörung

Was ist systemische Paartherapie? Ein Leitfaden für Paare

Ein wissenschaftlich fundierter Überblick über den innovativen Therapieansatz, der seit 2020 als Kassenleistung verfügbar ist

Wenn sich Beziehungsmuster immer wiederholen...

Sarah und Michael sitzen in ihrer Wohnung in Hamburg-Eppendorf und schweigen sich an. Wieder einmal ist aus einem harmlosen Gespräch über die Wochenendplanung ein heftiger Streit entstanden. Sie kennen das Muster: Er zieht sich zurück, sie wird lauter. Je mehr sie versucht, ihn zu erreichen, desto mehr verschließt er sich. "Warum passiert uns das immer wieder?", fragt sich Sarah. "Sind wir einfach nicht füreinander geschaffen?"

Falls Sie sich in dieser Beschreibung wiedererkennen, sind Sie nicht allein. In Hamburg, wie überall, kämpfen Paare mit wiederkehrenden Konflikten, die scheinbar aus dem Nichts entstehen und sich endlos wiederholen. Der berufliche Stress, die Herausforderungen des Stadtlebens und die zunehmende Vielfalt der Lebensformen stellen moderne Beziehungen vor komplexe Aufgaben.

Viele Paare zögern, sich Hilfe zu suchen – aus Scham, aus der Befürchtung, als "gestört" abgestempelt zu werden, oder aus der Überzeugung, ihre Probleme selbst lösen zu müssen. Doch es gibt einen therapeutischen Ansatz, der genau dort ansetzt, wo herkömmliche Methoden oft zu kurz greifen: bei den unsichtbaren Mustern, die unser Verhalten steuern, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.

Systemisch betrachtet: Probleme in Beziehungen sind nicht das Versagen einzelner Partner, sondern Ausdruck von Mustern im Beziehungssystem, die verstanden und verändert werden können.


Was ist systemische Paartherapie? – Die Grundlagen verstehen

Systemische Paartherapie ist weit mehr als nur "Eheberatung" – sie ist ein wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren, das seit 2020 als viertes Richtlinienverfahren von den Krankenkassen übernommen werden kann. Doch was macht diesen Ansatz so besonders?

Das Paar als System verstehen

Im Zentrum der systemischen Perspektive steht eine einfache, aber revolutionäre Erkenntnis: Ein Paar ist mehr als die Summe zweier Individuen. Es bildet ein dynamisches System, in dem das Verhalten jedes Partners das des anderen beeinflusst und umgekehrt. Anstatt zu fragen "Wer ist schuld?" oder "Was ist mit dir falsch?", interessiert sich die systemische Therapie für die Frage: "Wie entsteht dieses Muster und was braucht es für Veränderung?"

Nehmen wir das Beispiel von Sarah und Michael: Aus systemischer Sicht ist weder Sarahs "Nörgeln" noch Michaels "Rückzug" das eigentliche Problem. Vielmehr bilden beide Verhaltensweisen zusammen einen Kreislauf – sie nörgelt, weil er sich zurückzieht, und er zieht sich zurück, weil sie nörgelt (die sogenannte Interpunktion). Beide reagieren sinnvoll auf das Verhalten des anderen, ohne zu erkennen, dass sie gemeinsam das Problem aufrechterhalten.

Es gibt nicht die eine Wahrheit

Ein weiterer Grundpfeiler der systemischen Therapie ist der Konstruktivismus – die Erkenntnis, dass jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit konstruiert. Sarah erlebt Michaels Schweigen als Ablehnung und Liebesentzug. Michael wiederum empfindet Sarahs Nachfragen als Kontrolle und Kritik. Beide haben recht – aus ihrer jeweiligen Perspektive.

Ein:e systemische:r Therapeut:in tritt nicht als Richter auf, der bestimmt, wer "recht" hat. Stattdessen nimmt er eine Haltung der Neugier ein: "Wie kommt es, dass Sie das so erleben? Was müsste passieren, damit Sie es anders wahrnehmen können?" Diese respektvolle Haltung schafft einen sicheren Raum, in dem beide Partner ihre Perspektive äußern können, ohne verurteilt zu werden (die sogenannte Allparteilichkeit).

Fokus auf Ressourcen statt Defizite

Während traditionelle Therapieansätze oft bei den Problemen und deren Ursachen ansetzen, richtet die systemische Therapie ihren Blick konsequent auf das, was bereits funktioniert. "Wann gelingt es Ihnen denn, konstruktiv zu kommunizieren?", "Was machen Sie in guten Momenten anders?" oder "Welche Ihrer Eigenschaften haben Sie ursprünglich aneinander geschätzt?" – solche Fragen helfen Paaren dabei, ihre verschütteten Ressourcen wiederzuentdecken.

Diese ressourcenorientierte Haltung ist nicht nur eine humanistische Geste, sondern hochgradig praktisch: Die Lösungen für die Probleme von heute liegen oft in den Ausnahmen von gestern verborgen. Wenn ein Paar verstehen kann, was in den guten Momenten anders war, kann es diese Erkenntnisse nutzen, um bewusst mehr solcher Momente zu schaffen.

Systemisch betrachtet: Anstatt zu fragen "Was ist kaputt und muss repariert werden?", fragen wir: "Was funktioniert bereits und wie können wir davon mehr bekommen?" Es gibt einen systemischen Leitsatz der sagt: “Problem-talk creates problems, solution-talk creates solutions” (Das Sprechen über Probleme erzeugt Probleme, das Sprechen über Lösungen erzeugt Lösungen).


Wissenschaftliche Anerkennung und Wirksamkeit – Fakten statt Mythen

Systemische Therapie ist keine alternative Heilmethode oder esoterische Praxis, sondern ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren mit beeindruckender Evidenzbasis. Der Weg zur Anerkennung war lang, aber gründlich.

Der Durchbruch: Anerkennung als Richtlinienverfahren

Im Jahr 2008 bescheinigte der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) der systemischen Therapie erstmals eine ausreichende empirische Evidenz. Nach einer umfassenden Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) folgte 2018 der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA): Systemische Therapie wird als viertes Richtlinienverfahren anerkannt und seit Juli 2020 von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Diese Anerkennung erfolgte für spezifische Anwendungsbereiche, in denen die Wirksamkeit als ausreichend belegt gilt: Angst- und Zwangsstörungen, unipolare depressive Störungen, Schizophrenie und wahnhafte Störungen, Substanzkonsumstörungen sowie Essstörungen.

Was sagt die Forschung?

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Studien und Metaanalysen zeigen, dass etwa 70-74% der Paare nach einer systemischen Therapie von einer signifikanten Verbesserung ihrer Beziehung berichten. Diese Effekte erweisen sich oft als stabil über Nachbeobachtungszeiträume von bis zu fünf Jahren.

Besonders beeindruckend ist eine aktuelle Metaanalyse von Braus et al. (2024), die zwölf Studien verglich: Systemische Therapie lindert nicht nur individuelle Symptome, sondern stärkt den familiären Zusammenhalt signifikant besser als andere Behandlungsformen. Das bedeutet: Wenn ein Partner in systemischer Therapie ist, profitiert oft die ganze Familie davon.

Systemische Therapie im Vergleich

Wie positioniert sich die systemische Paartherapie im Vergleich zu anderen Ansätzen? Eine umfassende Metaanalyse aus dem Jahr 2020, die 58 Studien zur Paartherapie auswertete, bestätigte substanzielle Effekte auf die Beziehungszufriedenheit mit einer beeindruckenden Effektstärke von 1.12 – das gilt als großer Effekt in der Psychotherapieforschung.

Wissenschaft verständlich: Studien zeigen: Systemische Therapie hilft nicht nur bei individuellen Problemen, sondern stärkt nachweislich das gesamte Familiensystem.


So läuft systemische Paartherapie ab – Transparenz schaffen

Viele Paare zögern mit dem Gang zur Therapie, weil sie nicht wissen, was sie erwartet. Transparenz ist daher ein wichtiger Schritt zur Entstigmatisierung. Wie läuft eine systemische Paartherapie konkret ab?

Die erste Sitzung: Gemeinsame Ziele entwickeln

Der Beginn einer systemischen Paartherapie unterscheidet sich fundamental von dem, was viele erwarten. Es gibt keine tiefgehenden Analysen der Kindheit oder detaillierte Problemexploration. Stattdessen steht eine zentrale Frage im Mittelpunkt: "Was wollen Sie gemeinsam verändern?"

Diese Auftragsklärung ist mehr als eine formale Übung. Sie zwingt das Paar dazu, über ihre individuellen Vorwürfe hinauszublicken und ein gemeinsames Anliegen zu formulieren. Anstatt "Er soll endlich mehr im Haushalt helfen" oder "Sie soll aufhören zu nörgeln" geht es um Formulierungen wie "Wir möchten lernen, unsere unterschiedlichen Bedürfnisse respektvoll zu verhandeln" oder "Wir wollen wieder mehr positive Momente miteinander erleben."

Hypothesenbildung: Neugierige Annahmen entwickeln

Während das Paar erzählt, entwickelt der Therapeut Hypothesen über die zugrundeliegenden Muster. Diese sind keine endgültigen Diagnosen, sondern neugierige Annahmen: "Könnte es sein, dass Ihr Streit ums Aufräumen eigentlich ein Gespräch über Wertschätzung und Anerkennung ist?" oder "Was wäre, wenn Michaels Rückzug ein Versuch ist, die Beziehung zu schützen, weil er Angst vor Verletzung hat?"

Diese Hypothesen werden nicht als Wahrheiten verkündet, sondern als Angebote formuliert, die das Paar annehmen, modifizieren oder ablehnen kann. Sie dienen dazu, neue Perspektiven zu eröffnen und festgefahrene Sichtweisen zu verflüssigen.

Typische Interventionen: Das Handwerkszeug

  • Zirkuläre Fragen sind das Markenzeichen systemischer Arbeit. Statt "Wie geht es Ihnen mit dem Verhalten Ihres Partners?" fragt der Therapeut: "Was glauben Sie, wie Ihr Partner sich fühlt, wenn Sie schweigen?" Diese scheinbar kleine Änderung bewirkt Großes: Sie lädt zum Perspektivwechsel ein und macht deutlich, dass beide Partner in einem Kreislauf gefangen sind.
    • Praxis-Beispiel: Sarah wird gefragt: "Was glauben Sie, geht in Michael vor, wenn Sie ihn bitten, mehr im Gespräch zu bleiben?" Sarah, die bisher nur ihre eigene Frustration gespürt hatte, beginnt nachzudenken: "Vielleicht fühlt er sich kritisiert... oder überfordert?" Diese einfache Frage öffnet einen völlig neuen Blick auf die Situation.
  • Das Genogramm – ein visueller Familienstammbaum über mehrere Generationen – hilft dabei, transgenerationale Muster zu verstehen. Oft zeigt sich, dass aktuelle Konflikte Echos alter Familienthemen sind: "In Ihrer Familie wurde Konflikten aus dem Weg gegangen, in seiner wurde laut gestritten – kein Wunder, dass Sie verschiedene Strategien haben."
  • Reframing – die Umdeutung von Problemen – ist eine weitere kraftvolle Intervention. Michaels Rückzug wird nicht als "Kommunikationsverweigerung" gedeutet, sondern als "Versuch, die Beziehung vor Schäden zu bewahren". Sarahs Nachbohren wird nicht als "Nörgeln" gesehen, sondern als "Kampf um die Verbindung". Diese Umdeutungen entlasten beide Partner und öffnen neue Handlungsmöglichkeiten.

Neutralität und Allparteilichkeit: Der sichere Rahmen

Ein zentrales Merkmal systemischer Therapie ist die Neutralität des Therapeuten. Er ergreift nicht Partei für einen Partner, sondern würdigt beide Perspektiven als wertvoll und verständlich. Diese Allparteilichkeit schafft einen sicheren Raum, in dem sich beide Partner gehört und verstanden fühlen können.

Allerdings hat Neutralität klare Grenzen: Bei Gewalt, Machtmissbrauch oder anderen ethischen Grenzüberschreitungen ist eine eindeutige Positionierung des Therapeuten unabdingbar. Sicherheit geht immer vor Neutralität.

  • Praxis-Einblick: Ein typischer systemischer Satz: "Ich verstehe, dass Sie beide gute Gründe für Ihr Verhalten haben. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, wie wir diese verständlichen Reaktionen in eine konstruktivere Richtung lenken können."

Typische Anwendungsbereiche – Wann hilft systemische Paartherapie?

Systemische Paartherapie ist vielseitig einsetzbar, aber besonders wirkungsvoll bei bestimmten Problemlagen und Lebenssituationen.

Klassische Beziehungsprobleme systemisch betrachtet

  • Kommunikationsstörungen und Teufelskreise sind das Herzstück systemischer Arbeit. Das klassische Pursuer-Distancer-Muster (Verfolger-Rückzieher) findet sich in unzähligen Variationen: Sie möchte reden, er braucht Ruhe. Er wünscht sich Spontaneität, sie plant gern. Sie ist emotional, er rational. Systemische Therapie hilft dabei, diese Muster zu erkennen und zu unterbrechen.
  • Vertrauensverlust nach Affären wird systemisch nicht moralisch bewertet, sondern als Symptom für eine bereits bestehende Schieflage betrachtet. Die Affäre wird als dysfunktionaler Lösungsversuch verstanden – ein Versuch, ungestillte Bedürfnisse zu befriedigen oder auf Probleme aufmerksam zu machen. Diese Perspektive entlastet zunächst beide Partner und ermöglicht dann eine ehrliche Analyse der zugrundeliegenden Dynamiken.
  • Konflikte um unterschiedliche Lebensziele: Karriere versus Familie, Stadt versus Land, Kinder bekommen oder kinderlos bleiben. Systemische Therapie hilft dabei, hinter den vordergründigen Meinungsverschiedenheiten die tieferliegenden Werte und Ängste zu entdecken und respektvolle Kompromisse zu finden.

Lebensphasen und Übergänge meistern

Paare sind besonders verletzlich in Übergangsphasen, wenn sich die Spielregeln der Beziehung ändern müssen.

  • Der Übergang von der Verliebtheit zur Bindung in den ersten Jahren bringt oft die erste große Ernüchterung: Die rosarote Brille fällt ab, Unterschiede werden sichtbar, der Alltag kehrt ein.
  • Eltern werden ohne Paar-sein zu vergessen ist eine der größten Herausforderungen für Beziehungen. Systemisch betrachtet erweitert sich das Zweier-System zu einem Dreier-System mit völlig neuen Dynamiken. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich, Rollen müssen neu verhandelt werden, Intimität muss neu definiert werden.
  • Das Empty Nest-Syndrom stellt Paare vor die Aufgabe, sich nach Jahren der Elternschaft als Paar neu zu entdecken. Systemische Therapie hilft dabei, diese Übergangszeit als Chance für einen Neuanfang zu begreifen.

Moderne Beziehungsformen systemisch begleiten

Die Vielfalt heutiger Lebensformen erfordert einen flexiblen therapeutischen Ansatz – hier zeigt die systemische Therapie ihre besondere Stärke.

  • Patchwork-Familien mit ihren komplexen Loyalitäten, unklaren Rollen und multiplen Beziehungen zu Ex-Partnern profitieren besonders von systemischen Methoden. Das Genogramm wird hier zum unverzichtbaren Werkzeug, um die verschiedenen Systeme und ihre Wechselwirkungen zu verstehen.
  • Interkulturelle Paare navigieren zwischen verschiedenen Wertesystemen, Traditionen und Familienerwartungen. Systemische Therapie würdigt beide kulturellen Kontexte und hilft dabei, eine eigene, gemeinsame Kultur zu entwickeln.
  • LGBTQ+-Paare stehen vor spezifischen Herausforderungen wie dem Coming-out-Prozess, gesellschaftlichen Vorurteilen oder rechtlichen Unsicherheiten. Der systemische Ansatz bietet einen wertschätzenden und ressourcenorientierten Rahmen für diese Themen.
  • Fernbeziehungen erfordern besondere Strategien für Nähe auf Distanz. Systemische Therapie hilft dabei, Rituale der Verbindung zu entwickeln und mit der Belastung der Trennung umzugehen.

Systemische Paartherapie vs. andere Ansätze – Den passenden Weg finden

Nicht jeder Therapieansatz passt zu jedem Paar. Ein Vergleich hilft bei der Orientierung:

Kriterium Systemische Therapie Verhaltenstherapie Emotionsfokussierte Therapie (EFT)
Fokus Interaktionsmuster und Systemdynamiken Veränderung problematischer Verhaltensweisen Emotionale Bindung und Nähe
Problemsicht Muster im Beziehungssystem Erlerntes, problematisches Verhalten Negative Zyklen durch Bindungsängste
Therapeutenrolle Neugieriger Prozessbegleiter Strukturierender Trainer/Lehrer Emotionscoach und Bindungsexperte
Methoden Zirkuläre Fragen, Genogramm, Reframing Kommunikationstraining, Verhaltensübungen Emotionsarbeit, Bindungsinterventionen
Zeitrahmen Flexibel, oft 10-20 Sitzungen Strukturiert, meist 15-25 Sitzungen Mittelfristig, meist 15-20 Sitzungen

Wann ist systemische Therapie besonders geeignet?

Systemische Paartherapie zeigt ihre Stärken besonders bei:

  • Komplexen Familiensystemen mit vielen Beteiligten (Patchwork, Mehrgenerationenhaushalte)
  • Wiederkehrenden Mustern ohne klare Ursache, die beide Partner ratlos machen
  • Paaren, die Eigenverantwortung übernehmen wollen und sich als kompetent erleben möchten
  • Verschiedenen Lebensentwürfen, die respektiert und integriert werden sollen
  • Kultureller oder weltanschaulicher Vielfalt innerhalb der Beziehung

Integration und Kombinationen

Moderne systemische Therapie ist nicht dogmatisch, sondern integrativ. Viele Therapeuten kombinieren systemische Grundhaltungen mit Elementen aus anderen Ansätzen:

  • Systemik + Bindungstheorie: Die emotionale Dimension wird durch bindungstheoretische Erkenntnisse vertieft
  • Systemik + EFT-Elemente: Emotionsarbeit ergänzt die Musteranalyse
  • Systemik + Körperarbeit: Nonverbale Signale werden stärker einbezogen

Der individuelle Therapie-Mix richtet sich immer nach den spezifischen Bedürfnissen des Paares – ein zutiefst systemischer Gedanke.


Praktische Informationen für Hamburger Paare

Online-Therapie als Option hat sich besonders während der Corona-Pandemie etabliert und wird zunehmend als vollwertige Alternative anerkannt. Für Paare mit wenig Zeit, Mobilitätsproblemen oder besonderen Diskretionswünschen kann sie eine sinnvolle Option sein.

Erste Schritte: Den Mut fassen

Wann ist der richtige Zeitpunkt? Es gibt ihn nicht – aber es gibt eindeutige Signale, dass Hilfe sinnvoll wäre:

  • Konflikte eskalieren regelmäßig ohne Lösung
  • Sie reden nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander
  • Einer oder beide denken regelmäßig an Trennung
  • Sexualität und Intimität sind verschwunden
  • Sie fühlen sich wie Fremde in der eigenen Beziehung

Was tun, wenn ein Partner skeptisch ist? Ein häufiges Dilemma: Einer möchte zur Therapie, der andere sträubt sich. Systemische Therapeuten sind darin erfahren, auch zunächst unwillige Partner einzubeziehen. Manchmal reicht ein unverbindliches Erstgespräch, um Ängste und Vorbehalte auszuräumen.

Hamburger Ressourcen und Anlaufstellen

Hamburg bietet ein breites Netz an Unterstützungsmöglichkeiten:

  • Beratungsstellen:
    • Pro Familia Hamburg: Kostenlose Paarberatung
    • Familienberatung der Wohlfahrtsverbände
    • Kirchliche Ehe- und Familienberatung (auch für Nicht-Kirchenmitglieder)
  • Bei akuten Krisen:
    • Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222
    • Nummer gegen Kummer: 116 123
    • Hamburger Krisendienst: 040 428 49 14 24
  • Selbsthilfe und Workshops:
    • Volkshochschule Hamburg: Kommunikationskurse für Paare
    • Familienbildungsstätten: Workshops zu Beziehungsthemen

Selbstreflexion und erste Schritte – Der Weg zur Veränderung

Bevor Sie den Schritt zur professionellen Hilfe gehen, können Sie bereits mit der Selbstreflexion beginnen. Systemische Fragen helfen dabei, neue Perspektiven zu entwickeln:

Reflexionsfragen für Paare

Musterreflektion:

  • "Welche Situationen führen bei uns regelmäßig zu Konflikten?"
  • "Was passiert normalerweise zuerst: Ihr Verhalten oder meine Reaktion?"
  • "Wann ist unser Konfliktmuster zum ersten Mal aufgetreten?"

Ressourcenfokus:

  • "Was funktioniert bereits gut zwischen uns?"
  • "Wann haben wir uns zuletzt wirklich verstanden gefühlt?"
  • "Welche unserer Eigenschaften haben wir ursprünglich aneinander geschätzt?"

Zukunftsorientierung:

  • "Wie würde unsere Beziehung aussehen, wenn das Problem gelöst wäre?"
  • "Was wäre das erste kleine Zeichen, dass sich etwas verbessert?"
  • "Wer würde die Verbesserung als Erstes bemerken?"

Erste systemische Übungen für zu Hause

  1. Die Perspektivwechsel-Übung: Wählen Sie einen kleineren Konflikt aus der letzten Zeit. Jeder Partner erzählt die Situation aus seiner Sicht, während der andere nur zuhört. Dann erzählt jeder die Situation aus der vermuteten Sicht des Partners. Diese Übung schärft das Bewusstsein für unterschiedliche Wahrnehmungen.
  2. Die tägliche Wertschätzungsrunde: Teilen Sie jeden Abend eine konkrete Sache mit, die Sie am Partner geschätzt haben. Wichtig: Es sollte etwas Spezifisches sein ("Danke, dass du heute so geduldig mit dem Handwerker warst") statt allgemeiner Aussagen ("Du bist toll").
  3. Die Stopp-Regel bei Eskalationen: Vereinbaren Sie ein Zeichen oder Wort, mit dem jeder Partner eine Gesprächspause einfordern kann, wenn das Gespräch zu eskalieren droht. Wichtig: Die Pause ist kein Rückzug, sondern ein bewusster Schritt zurück, um danach konstruktiver weiterzumachen.

Mut machen: Therapie als Stärke

Es erfordert Mut und Stärke, sich Hilfe zu suchen. Paartherapie ist kein Zeichen des Versagens, sondern ein Beweis dafür, dass Ihnen Ihre Beziehung wichtig ist. Sie zeigt, dass Sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und aktiv an Lösungen zu arbeiten.

Systemische Grundüberzeugung: Veränderung ist möglich, auch bei langjährigen Mustern. Sie sind die Experten für Ihre Beziehung – der Therapeut ist nur der Experte für den Veränderungsprozess.

Viele Paare berichten, dass der Gang zur Therapie zu den besten Entscheidungen ihrer Beziehung gehörte – nicht weil ihre Probleme über Nacht verschwanden, sondern weil sie lernten, anders mit ihnen umzugehen. Sie entwickelten neue Perspektiven, durchbrachen alte Muster und entdeckten Ressourcen, von denen sie nicht wussten, dass sie sie hatten.

Der erste Schritt: Professionelle Hilfe in Hamburg

Wenn Sie diesen Artikel bis hierher gelesen haben, haben Sie bereits den wichtigsten Schritt getan: Sie haben sich informiert und Ihre Situation reflektiert. Falls Sie spüren, dass professionelle Unterstützung hilfreich sein könnte, zögern Sie nicht, den nächsten Schritt zu gehen.

Unser Paartherapeut ist ein erfahrener systemischer Therapeut, der Ihnen dabei helfen kann, Ihre Beziehungsmuster zu verstehen und positive Veränderungen zu entwickeln. Ein erstes Beratungsgespräch gibt Ihnen die Möglichkeit zu prüfen, ob die Chemie stimmt und der systemische Ansatz zu Ihnen passt.

Denken Sie daran: Jede große Veränderung beginnt mit einem ersten kleinen Schritt. Ihrer könnte ein Anruf sein.

Systemisch betrachtet: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist jetzt. Das Gleiche gilt für Ihre Beziehung.


Wissenschaftliche Quellen und Literatur

Metaanalysen und Wirksamkeitsstudien

  • Braus, N., Flückiger, C., Wichmann, J., et al. (2025). Is symptom outcome the whole story?-A multilevel meta-analysis of systemic therapy for adults including family system functioning. Psychotherapy research : journal of the Society for Psychotherapy Research, 35(7), 1056–1069. DOI: doi.org/10.1080/10503307.2024.2394192
  • Roddy, M., Walsh, L., Rothman, K., et al. (2020). Meta-analysis of couple therapy: Effects across outcomes, designs, timeframes, and other moderators. Journal of Marital and Family Therapy, 46(4), 652-677. DOI: 10.1037/ccp0000514
  • von Sydow, K., Beher, S., Schweitzer, J., & Retzlaff, R. (2010). The efficacy of systemic therapy with adult patients: a meta-content analysis of 38 randomized controlled trials. Family Process, 49(4), 457-485. DOI: 10.1111/j.1545-5300.2010.01334.x
  • Shadish, W. R., & Baldwin, S. A. (2003). Meta-analysis of MFT interventions. Journal of Marital and Family Therapy, 29(4), 547-570. DOI: 10.1111/j.1752-0606.2003.tb01694.x.

Vergleichsstudien verschiedener Therapieansätze

  • Johnson, S. M., & Greenman, P. S. (2006). The path to a secure bond: Emotionally focused couple therapy. Journal of Clinical Psychology, 62(5), 597-609. DOI: 10.1002/jclp.20251
  • Wiebe, S. A., & Johnson, S. M. (2016). A review of the research in emotionally focused therapy for couples. Family Process, 55(3), 390-407. DOI: 10.1111/famp.12229
  • Hahlweg, K., & Klann, N. (1997). The effectiveness of marital counseling in Germany: A contribution to health services research. Journal of Family Psychology, 11(4), 410-421. DOI: 10.1037/0893-3200.11.4.410

Deutsche Anerkennungsverfahren und Gesundheitspolitik

  • Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). (2018). Beschluss über eine Änderung der Psychotherapie-Richtlinie: Systemische Therapie bei Erwachsenen. Berlin: G-BA.
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (2017). Systemische Therapie bei Erwachsenen: Abschlussbericht N14-02. Köln: IQWiG.

Theoretische Grundlagen und Bindungstheorie

Digitalisierung und moderne Entwicklungen

  • Baumel, A., Muench, F., Edan, S., & Kane, J. M. (2017). Objective user engagement with mental health apps: systematic search and panel-based usage analysis. Journal of Medical Internet Research, 19(9), e7672. DOI: 10.2196/14567.
  • Kölch, M., & Linke, J. (2020). Digitalisierung in der Psychotherapie: Chancen und Herausforderungen. Psychotherapeut, 65(4), 278-285. DOI: 10.1007/s00278-020-00432-1

Haftungsausschluss: Dieser Artikel dient der Information und ersetzt keine professionelle Beratung oder Behandlung. Bei akuten Krisen wenden Sie sich bitte an den Hamburger Krisendienst (040 428 49 14 24) oder die Telefonseelsorge (0800 111 0 111).

Artikel-Info

Autor: Dr. Anna Schmidt
Veröffentlicht: 24. Oktober 2024
Lesezeit: 17 Min.

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